Samstag, 24. Januar 2009
 
Kubas Fluch und Kubas Segen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Birgit Zehetmayer   
Samstag, 14. Oktober 2006

"Der Imperialismus kennt die Größe von Fidel Castro nicht. Er wird bis zum letzten Augenblick kämpfen, obwohl dieser noch weit entfernt ist", wurde der kubanische Parlamentspräsident Ricardo Alarcón in den kubanischen Medien zitiert.
Entgegen allen Beteuerungen aus dem kubanischen Politbüro lässt sich nicht leugnen, dass Fidel Castro bereits auf seinen letzten Weg aufgebrochen ist.

Die Bilder, die im Abstand weniger Wochen die internationale Öffentlichkeit erreichen, zeigen einen zügigen substantiellen Abbau, wie er diesem letzten Lebensabschnitt eigen ist. Allein, wie lange diese Reise dauert, lässt sich nicht prognostizieren.

Die Bilder des von seiner schweren Darmoperation gezeichneten, mittlerweile 80jährigen Fidel Castro veranlassen vielerorts einmal mehr politische Beobachter, ihre spätestens seit 1989 immer wieder aus dem Ärmel geschüttelten Hypothesen zu überdenken, wie ein Kuba ohne Castro wohl aussehen könnte. Die Chance, in aller Ruhe an einer Straßenecke Havannas zu stehen, den Tag, die Menschen beobachtend und das Leben genießend an sich vorbeiziehen zu lassen, wie er einmal Gabriel García Márquez seine Pensionswünsche anvertraut haben soll, hat er wohl vertan. Mit der interimistischen Berufung seines Bruders Raúl Castro an das politische Steuer Kubas gilt zumindest vorerst auch weiterhin die Faustregel: Kuba ist Castro und Castro ist Kuba.

Von Raúl ist bekannt, dass er zweifellos ein pragmatischerer Ideologe als sein Bruder ist, der schon 1953, vor dem Sturm auf die Moncada-Kaserne, der kommunistischen Jugend beigetreten war und sich im mexikanischen Exil mit Ernesto Che Guevara Tage und Nächte mit politischen Diskussionen um die Ohren schlug, während die kubanische Revolution erst vorbereitet wurde.

Raúl Castro ist neben seinem Bruder Fidel die zweite große Konstante in der Geschichte Kubas seit 1959. Manch anderem potentiellen Nachfolger, dem gute Aussichten prophezeit wurden, der hie und da in der politischen Hierarchie Kubas aufleuchtete, Carlos Aldana, Roberto Robaina, um nur zwei zu nennen, ist längst wieder von der großen politischen Bühne abgetreten. Politisches Fehlverhalten, Arroganz, mangelnde sachliche Kompetenz bis hin zu Selbstbereicherungstendenzen bereiteten der Karriere mancher aussichtsreicher Kandidaten ein leises Ende. Ohne Knalleffekt und Skandal, der international ruchbar geworden wäre, wurden sie ihrer Posten enthoben und durch andere ersetzt. Zu ehrgeizig schien das große Ziel, das Überleben der kubanischen Revolution allen Widrigkeiten zum Trotz zu gewährleisten. Schon kurz nach der Selbstauflösung der früheren Sowjetunion, noch während des Besuchs Gorbatschows in Kuba, der Fidel Castro noch mit den Worten "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" gewarnt hatte, wurde in der kubanischen Politik der unbedingte Wille zur Kontinuität deutlich. Er bestätigt sich durch den Umstand, dass der Comandante en Jefe persönlich seine Nachfolge organisiert, um das Überleben des gesamten Systems nach seinem Abgang zu gewährleisten.

Die Berufung seines Bruders an die politische Führungsspitze des Landes ist zweifellos ein erstes kräftiges Signal der Kontinuität, wenngleich Raúl mit 75 Jahren auf lange Sicht gesehen nur eine interimistische Lösung der Führungsfrage bedeuten kann. Ihm zur Seite sind Männer gestellt, die sich in der kubanischen Politik in Zusammenarbeit mit dem Comandante en Jefe jahrelang bewährt haben. Da ist Felipe Pérez Roque, gegenwärtig Außenminister, dem eine Schlüsselrolle im post-castristischen Kuba zugetraut wird; Carlos Lage, Sekretär des Exekutivkomitees des Ministerrates, Vizepräsident des Staatsrates und Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Kubas und natürlich der Präsident der Asamblea Nacional del Poder Popular, Ricardo Alarcón de Quesada. In den zwei Monaten der provisorischen Amtsübergabe lässt sich bereits eine neue Stilrichtung der kubanischen Politik ablesen: Der Wille zur Teamarbeit, vor allem hinsichtlich der Repräsentation der Regierung Kubas bei öffentlichen Anlässen nach innen als auch auf der internationalen Bühne nach außen.

Das neue kubanische Triumvirat Raúl-Lage-Pérez Roque, wie die drei Herren wohlwollend in Kuba bezeichnet werden, gehen daran, einen leisen Vorgeschmack auf die Zeit "danach" unter den wachsamen Augen Fidels zu entwerfen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass man sich keineswegs damit begnügt, die Staatsangelegenheiten für die Dauer der Abwesenheit Fidels zu verwalten, sondern bereits selbständig wichtige Entscheidungen gefällt hat. Da ist beispielsweise die Ernennung des Historikers Ramiro Valdés zum Kommunikations- und Informationsminister, der zu zwei Gelegenheiten bereits das Amt des Innenministers bekleidete. Eine beachtenswerte Rede Raúls anlässlich des 19. Kongresses der kubanischen Arbeitervereinigung CTC, die wenig erfreuliche "interne Irrtümer und Defizite" thematisierte, führte rasch zu den ersten Amtshandlungen im Sinne von Amtsenthebungen des neuen Ministers: Der Vorsitzende des 315 Millionen Euro jährlich umsetzenden staatlichen Telekom-Konzerns ETECSA, eines der mächtigsten Unternehmen Kubas, José Antonio Fernández musste seinen Hut nehmen, ebenso wie der Vorsitzende des staatlichen Telekommunikationstechnologie-Unternehmens COPEXTEL, das für die flächendeckende Versorgung mit Informations- und Kommunikationstechnologien in Kuba verantwortlich zeichnet. Auch wenn in den kubanischen Medien diese Personalrochaden nicht kommentiert wurden, lässt sich doch resümieren, dass Machtmissbrauch und Bereicherungstendenzen auch von der "neuen Regierung" Kubas an der Wurzel gepackt werden. Immerhin erwiesen sich derartige Aktivitäten an den strategischen Schaltstellen der Nationalökonomie als maßgeblich zerstörerische Tendenz des Systemwandels in den vormals sozialistischen Bruderländern, und die Verlockungen des "ganz großen Geldes" erscheinen manchen in Zeiten wie diesen unwiderstehlich.

Wie also wird Kuba nach Fidel Castro aussehen? Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas ist keineswegs amtsmüde, resigniert oder von interner Korruption und Machtmissbrauch zermürbt. Es ist keineswegs mit jenen in den früheren sozialistischen Ländern zu vergleichen, die nach dem Systemwechsel die Selbstauflösung für eine politische Option hielten.

Kuba und die Welt werden zu allererst Zeuge eines bombastischen Begräbnisses werden, das die Freudengesänge in Miami bei weitem übertönen wird. Ähnlich wie 1997, als die im bolivianischen Vallegrande entdeckten und nach Kuba überstellten sterblichen Überreste des argentinischen Revolutionshelden Che Guevara eine Woche lang am Platz der Revolution aufgebahrt wurden und Millionen Kubaner es sich unter größtem Aufwand nicht nehmen ließen, sich von ihm persönlich zu verabschieden, wird auch Fidels Anwesenheit diesen Platz ein letztes Mal dominieren, bis schließlich der Alltag einkehrt.

Fidel Castro ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Als Mensch ist er unantastbar, und sein Leben taugt hervorragend als Mythos. Die Facetten seiner reichen Persönlichkeit werden auch und vor allem auf der politischen Bühne Kubas vermisst werden. Unvergesslich schon jetzt seine konzentrierte Aufmerksamkeit im Zusammentreffen mit dem Volk, das ihm aus den entferntesten Winkeln des Landes mitunter im Zorn klagend Missstände vortrug und an dessen Entrüstung er sich sogleich beredt gestikulierend beteiligte. Ebenso die Bestimmtheit, mit der er sogleich den Verantwortlichen in die "Arena der hier-und-jetzt Gerechtigkeit" zitierte, der sich dann erst einmal nervös auf die Vorschriften "von oben" berief, an die er sich zu halten habe. Manchmal musste schließlich der jeweilige Minister höchstpersönlich zur Rechtfertigung herbeigerufen werden, der dann coram publico planlos in seinen Unterlagen blätterte und hilfesuchend Einflüsterungen seines Beraterstabs entgegennahm, um dann schnell die sofortige Behebung des Problems zu versprechen, die dann stets auch prompt eintrat. Diese mitunter zelebrierten Zusammenkünfte, die auch gerne als direkte Demokratie in Kuba bezeichnet werden, ließen bei den Kubanern die Überzeugung wachsen, dass "wenn Fidel nur dieses und jenes wüsste" sich schließlich jeder Missstand schnell beheben ließe. Legendär auch seine Detailverliebtheit, mit der er seine ihm zur Antwort verpflichteten Gesprächspartner oft in blanke Verzweiflung trieb, beispielsweise beim Ankauf eines von drei zur Auswahl stehenden Rettungswägen, deren auch noch so winzige technische Details abgefragt und sorgfältig gegeneinander abgewogen werden wollten. Und schließlich ist da auch die Erinnerung an die kleine, wütende Demonstration auf dem Gipfel der "periodo especial", wo hie und da ein Ruf "Nieder mit Fidel" zu hören gewesen sein soll. Kaum eine halbe Stunde soll es gedauert haben, bis drei Militärjeeps in jener verdächtig grünbraunen Farbe, wie sie nur im Umfeld Fidels gesehen wird, vor der wütenden Menge hielten. Fidel mischte sich unter die Leute und sprach einen der verblüfften Demonstranten persönlich laut und für alle vernehmlich an: "Ich habe gehört, es soll hier Beschwerden gegen mich geben. Hier bin ich. Was hast Du mir also zu sagen?" Gleich an welchen der Demonstranten er die Frage richtete, er erntete ein stotterndes "Gar nichts, mi comandante, es gibt kein Problem". Fidel beendete diese Demonstration mit dem Vorschlag "Nun gut, dann schlage ich vor, dass wir alle wieder nach Hause gehen". Noch ehe man es sich versah, war Fidel davongebraust und erntete für seinen Auftritt vom Publikum bewunderndes Kopfschütteln und das Attribut "tiene cojones" (was für ein Mann!)

Ähnlich wie schon bei Che Guevara, mit dem altersmäßig in Frage kommende Kubaner gerne persönliche Begegnungen erfinden, wird auch Fidel in den Genuss dieser Ehre kommen. Stolze 73% der kubanischen Bevölkerung oder 8 Millionen Menschen sind nach 1959 geboren. Sie sind mit Fidel Castros wort- und tatenreicher Präsenz aufgewachsen. Von Hunger und Elend erfahren sie nur noch aus den Geschichtsbüchern. Man kann sich also getrost der Meinung anschließen, dass nach Fidel Castro lange Zeit nichts Nennenswertes kommen wird. Zu überragend und dominant war seine Rolle in der Staatsführung Kubas, als dass jemand sich aus seinem Schatten lösen könnte. Das ist Kubas Fluch. Doch andererseits - und dies ist das Faktum, das den Vergleich mit den vormals sozialistischen Bruderländern kläglich scheitern lässt - hat Fidel Castro mit seiner Revolution aus den Kubanern ein sehr selbstbewusstes und stolzes Volk gemacht, das Einmischung von außen, auch wenn sie in noch so freundlichen Gesten daherkommt, nicht dulden wird, und er hat seine politischen Erben sorgsam in einer langen Periode der Prüfung ausgewählt. Das ist Kubas Segen.
(Lateinamerika Anders Panorama, Nr.5)

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